AMBULANT TROTZ STATIONÄR – TEIL 2

Ein Beitrag von Christian Schultz, Geschäftsführer der Diakonie Stiftung Salem in Minden.
Dabei geht es um die Frage, wie Menschen im Alter (heute und in Zukunft) leben möchten, welche Versorgungsstrukturen brauchen wir dafür und kann eine an diesen Bedarfen ausgerichtete Versorgung isoliert von sozioökonomischen Entwicklungen „vor Ort“ entwickelt werden?

Quartiersentwicklung in der Altenpflege – Worum geht es beim Thema Quartiersentwicklung?

Zum einen um die Entwicklung sozialer Stadtquartiere, in denen selbst bestimmtes Leben und Teilhabe bis ins Alter die Zielvorgaben sind. Zum anderen ist Quartiersentwicklung ein partizipativer, kommunikativer Prozess bürgerschaftlichen Engagements, bei der die geäußerten Interessen und der geäußerte Wille der Wohnbevölkerung die Richtung vorgeben (Verschiebung von der fürsorglichen Unterstützung zur Selbstermächtigung).

Dazu bedarf es integrierter Stadt(teil)entwicklung und Sozialraumorientierung. Denn das Ziel ist, dass Menschen im Alter und/oder mit Pflegebedarf „genauso leben sollen wie vorher“, und zwar:
⦁ in ihrem gewohnten Lebensumfeld (Wohnung)
⦁ in den vertrauten sozialen und räumlichen Bezügen (Quartier)
⦁ unter Beachtung individueller Bedürfnisse

Determinaten der Ambulantisierung

a) bundes-/landesgesetzliche Vorgaben

PSG I:
⦁ Verbesserter Versorgungsmix für ambulante Pflege– und sonstige Dienstleistungen
⦁ keine Flexibilität (Versorgungsmix) in Bezug auf stationär erbrachte Leistungen; „Heim“ als (einziges) „Lebenszentrum“

PSG II:
⦁ Bessere Pflegeberatung
⦁ Ambulante Wohngruppen
⦁ Neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff (Einführung der Pflegegrade)
⦁ Mehr Geld für Pflege

GEPA-NRW (2014/2015):
⦁ Differenzierung verschiedenster Versorgungsformen
⦁ deutliche Benachteiligung aller vollstationären Settings
⦁ WGs mit > 12, bzw. Einrichtungen > 24 Nutzer = „EULAs“ (volle Anwendung der Anforderungen an vollstationäre Einrichtungen)
⦁ „Schwerpunkt-WGs“ werden nicht voneinander abgegrenzt
⦁ Einhaltung der (umstrittenen) Fachkraftquote zwingend
⦁ Fehlende Anreize für (stat.) Neubauten
⦁ Wegbrechen bewährter Versorgungsstrukturen
⦁ Vernachlässigung des zukünftigen Bedarfs („Singularisierung“)
Senioren (und andere Zielgruppen mit Pflegebedarf),  die in vollstationären Einrichtungen leben müssen,  werden weiterhin finanziell benachteiligt

b) Institutionalisierungszwang (oder: „die Trennung im Kopf“)

Selbstverständnis der Pflege
⦁ befürchtete Berufsbild-Beschneidung
⦁ Festhalten an überkommenen Arbeitsorganisationsformen (Funktionalisierung statt Bedarfsorientierung der Pflege)
⦁ sozialisierter „Vollversorgungsanspruch“  (bei Mitarbeitenden, Bewohnern und Angehörigen) Neuausrichtung der Aufgaben von Berufsgruppen
⦁ Definition und Abgrenzung neuer Aufgabenfelder
⦁ Befürchteter Qualitätsverlust (u.a. durch Schnittstellenzunahme)

 

Ambulant trotz stationär

Christian Schultz ist Kaufmännischer Vorstand der Diakonie Stiftung Salem. Er war zuletzt Geschäftsführer und Heimleiter der Bürgerheim Biberach gGmbH in Biberach an der Riss und dort unter anderem verantwortlich für selbständiges Wohnen im eigenen Apartment im Alter, ambulante und stationäre Pflege, Betreuung von Menschen mit Demenz, Tagespflege, die Entwicklung und Umsetzung des Hausgemeinschaftskonzepts „Individuell leben in Wohngruppen“, Ambulantisierung der stationären Pflege, Essen auf Rädern, Bauprojektplanung, -begleitung und -überwachung sowie Pflegesatzverhandlungen.

Leave a Reply