„Todesengel in Weiß“ sind selten, Gewalt in der Pflege hingegen ist alltäglich: Nicht immer handelt es sich dabei um Schläge oder wüste Beschimpfungen. Obwohl auch solche Fälle vorkommen. – Lesen Sie jetzt Teil 2 des Beitrages „Aggression in der Pflege“

Herausforderndes Verhalten bei Menschen mit Demenz

Gereizte Stimmung und Hektik überträgt sich auch auf Pflegebedürftige und führt zu herausforderndem Verhalten. Speziell Menschen mit Demenz reagieren sehr empfindlich auf ihre Umgebung. „Demenziell veränderte Menschen lassen sich nicht mit Argumenten überzeugen“, erläutert Uli Zeller, „stattdessen versuche ich sie über die Gefühlsebene zu erreichen.“ Ein Lied oder ein Gedicht stimmt Bewohner auf ihr Essen ein, das sie sonst stets verweigern. Die 90-Jährige, die nach ihrer Mutter, ruft, bringen geschickte Gegenfrage auf andere Gedanken: Was bedeutet deine Mutter für dich? Was waren schöne Ereignisse mit deiner Mutter?
Der Demenzexperte und Buchautor Uli Zeller rät davon ab, demenziell Veränderten etwas vorzuspielen: „Menschen mit Demenz sind sehr sensibel“, erklärt er, „sie spüren, wenn etwas nicht stimmt.“

Bleibt der Schützling unruhig, sollte sich der Betreuer nicht provozieren lassen und sich aus der Situation zurückziehen. „Pflegende müssen verinnerlichen: „Die Reaktion gilt nicht mir“, verdeutlicht Zeller, „der demenziell Veränderte ärgert sich über sich selbst, über jemanden aus seiner Vergangenheit oder hat einfach Angst“. Er versteht im wahrsten Sinne des Wortes die Welt nicht mehr.

Offene Gesprächskultur beugt Gewalt vor

Manchmal hilft es, einen Kollegen vorzuschicken. Egal, wie gut Pflegekräfte ausgebildet sind: Zu manchen Bewohnern fehlt die menschliche Bindung. Oder die Beziehung ist vorbelastet, weil der Demente beispielsweise den gefürchteten Vater wiederzuerkennen meint. „Mir fällt es schwer, Zugang zu schwer depressiven Menschen zu finden“ gibt Manfred Borutta offen zu, „dadurch steigt das Konfliktpotential. So etwas muss offen im Team besprochen werden.“ Doch in vielen Pflegeeinrichtungen fehle die nötige Gesprächskultur.

„Pflegeeinrichtungen können über Supervision und Coaching Schutzräume schaffen“, nimmt der Pflegeexperte Arbeitgeber in die Pflicht. Nicht nur Stress, auch die emotionale Belastung des Berufes fordere ihren Tribut:  Mitarbeiter bleiben mit belastenden Ereignissen, wie dem Tod langjähriger Bewohner, allein. Diese „Privatisierung des Leidens“ koste Pflegekräfte die letzten Nerven, so Borutta.

Er fordert daher ein Umdenken in der Branche: Neben Gesprächsangeboten bietet eine nicht-strafende Fehlerkultur die Möglichkeit, brisante Themen wie Gewalt in der Pflege offen anzugehen. „Mitarbeiter müssen vor Kollegen und Chef zugeben können: ‚Ich habe Mist gebaut‘“, ergänzt der Akademiker, „sonst kehren alle Teammitglieder ihre Fehler unter den Teppich.“

 

Über Uli Zeller:

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„Mein Thema ist Demenz“, beschreibt Uli Zeller seine Leidenschaft. Der Buchautor, Theologe und Krankenpfleger ist Experte im Umgang mit dementen Menschen. Sein aktuelles Buch Frau Janzen geht tanzen steckt voller humorvoller Vorlesegeschichten über Geburtstage, Jahreszeiten, Tiere, Sprichwörter und vieles mehr. Menschen mit Demenz erinnern sich dabei an vieles, das ihnen vertraut ist. Derzeit arbeitet der Südbade als Betreuer und Seelsorger in einem Pflegeheim in Singen. Auf dem Online-Portal Die Pflegebibel teilt Zeller in seiner Kolumne Uli & Die Demenz sein Wissen mit Angehörigen, Pflege-und Betreuungskräften.

 

 

Weiterführende Links:

Deeskalationsstrategien in der Pflege: https://prodema-online.de/fileadmin/files/Frontend/Literatur/Zeitungsartikel_Prodema_in_der_Sicherheitsbeauftragte.pdf

Selbstverteidigungstrainings in der Pflege: http://www.die-pflegebibel.de/herausforderndes-verhalten-selbstverteidigung-fuer-pflegekraefte/

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4 comments

  1. Kleine Anmerkung: In diesem Text werden demente Menschen per du angesprochen. Ich habe es schon als Änderungswunsch an die Redaktion eingegeben, dass das geändert wird. Bis es soweit ist, hier als Anmerkung: Per du ist richtig für Angehörige. Bei Pflegekräften rate ich zum Sie.

  2. Noch eine Ergänzung, wie das „du“ in diesen Text gerutscht ist:

    In meinem Ratgeber „Menschen mit Demenz begleiten, ohne sich zu überfordern“ habe ich es so erklärt: „Ich spreche unsere Bewohner im Altenheim grundsätzlich per Sie und mit Nachnamen an: „Guten Morgen, Frau Löschmann.“ – „Wie geht es Ihnen, Herr Wagner?“ Dieser Ratgeber ist aber vor allem für Angehörige geschrieben. Daher beschreibe ich die Praxisbeispiele so, wie wenn ich die Bewohner mit Vornamen ansprechen würde.“

    Link zum Ratgeber: http://brunnen-verlag.de/catalog/product/view/id/14104/s/menschen-mit-demenz-begleiten-ohne-sich-zu-uberfordern/#

    Hier allerdings handelt es sich um einen Text auch für Pflegekräfte. Ich möchte niemanden zum unbedachten „per du“ verleiten…