An einem Frühlingsmorgen zeigt das Thermometer -1,5 Grad. Der Himmel ist blau, die Sonne lacht. „Wie schön, heute ziehe ich mein Kleid und Sandalen an, wenn wir Einkaufen gehen“, freut sich Erna, die demenzkranke, 78-jährige Mutter eines Klienten. Stefanie Froitzheim von der Servicestelle Demenz der AOK Rheinland/Hamburg kennt solche Situationen aus dem Alltag von Angehörigen – und Pflegekräften. Im Gespräch gibt sie Tipps für die Kommunikation im Konfliktfall.
Verständnis für Demenzkranke
„Oft reagieren wir mit Unverständnis oder Ärger auf das Verhalten von Menschen mit Demenz“, sagt Froitzheim. Eine typische Reaktion auf die im Sommerkleid wandelnde Mutter sei der Vorwurf: „So ein Quatsch, es hat Minusgrade, du ziehst deinen Wintermantel an, wenn wir rausgehen!“
Dass ein solcher Appell genau das Gegenteil von dem bewirkt, was er bewirken soll, erleben Angehörige fast täglich im Umgang mit den Demenzkranken. Wahlweise reagieren sie mit Empörung – weil sie wie ein kleines Kind behandelt werden. „Oder sie reagieren mit Rückzug“, sagt die AOK-Expertin.
Vorwurf hilft nicht
Um den daraus zwangsläufig resultierenden Konflikt gar nicht erst entstehen zu lassen, empfiehlt Froitzheim anzuerkennen, dass Demenzkranke in ihrer eigenen Welt leben. Diese hat mit fortschreitender Krankheit immer weniger mit der Realität „gesunder“ Menschen zu tun. Für die 78-jährige Mutter bedeutet Sonne warme Luft. Das Wissen, dass an einem Märzmorgen der Boden oft noch gefroren ist, ist durch die Krankheit verloren gegangen.
In einem anderen Beispiel beschwert sich ein Ehemann darüber, dass seine demenzkranke Frau die zurückliegende Bundestagswahl ignoriert. „Sie hat sich doch früher immer für Politik interessiert“, klagt der Mann in der Beratungsstelle. Sein Vorwurf: „Wie kann sie nur so desinteressiert sein?“ Der Rat, sich das Verhalten seiner Frau nicht zu Herzen zu nehmen, hilft ihm schließlich.
Mitspielen entspannt Situation
„Wir leben in einer hektischen Welt“, sagt Froitzheim. Aber Demenzkranke haben ihren eigenen Rhythmus, ihre eigene Wahrnehmung. Im Konflikt treffen diese beiden Welten aufeinander. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Krankheit individuell ist – so wie jeder Mensch. Wichtig ist, zu beobachten. Reaktionen wahrzunehmen, ernst zu nehmen und falls erforderlich, einzulenken. Ein eingeschaltetes Radio kann für einen Demenzkranken ein angenehmer Gesprächspartner sein. Dann spricht er oder sie mit der Stimme aus dem Gerät. Oder sie denkt, dass Einbrecher im Haus sind, weil sie die Stimme des Moderators aus dem Radio nicht kennt.
Je nach Situation können bei Demenzkranken Freude, Angst oder auch Trauer ausgelöst werden. Die Reaktion der Angehörigen oder der Fachkräfte sollte angemessen sein. „Spielen Sie mit“, empfiehlt die AOK-Expertin. Das helfe auch, konfliktreiche Situationen zu entschärfen. Wenn ein Betroffener nicht zwei, sondern zehn Minuten zum Zähneputzen oder Haare kämmen brauche, helfe es nicht, ihn daran zu erinnern, dass die Zeit dränge. Manchmal brauche es einen langen Atem.
Teilnahme für Demenzkranke ermöglichen
Eine Regel im Umgang mit Erkrankten ist auch das Fördern und Fordern. Die Expertin berichtet von einer Dame, die früher gerne gekocht hat. Bei einem Besuch saß sie jedoch apathisch im Sessel. „Wir erinnerten uns, dass sie eine flinke Kartoffelschälerin war“, erzählt Froitzheim. Doch ihr Mann habe sie aus der Küche verbannt: „Weil sie das nicht mehr konnte“, so seine Begründung.
Doch mit dem vertrauten Kartoffelschäler – und nicht mit einem neuen, fremden Gerät – gelingt das Schälen. „Lange geübte Handgriffe können Erkrankte oft ausführen“, weiß Froitzheim, denn das Gehirn kann diese Techniken im erkrankten Zustand noch lange abrufen. Das Kurzzeitgedächtnis ist dagegen meist zuerst betroffen.
Wichtig ist die Botschaft, die hinter der Aktivierung beim Kartoffelschälen steckt. Die Erkrankten spüren, wenn ihnen eine Aufgabe anvertraut wird und vermittelt gleichzeitig als positives Erlebnis: „Ich gehöre dazu und werde gebraucht“. Das Ergebnis spielt dabei keine Rolle. „Wenn die Kartoffeln am Ende unsauber geschält oder zu kleinen Quadraten zusammengeschrumpft sind, dann ist das eben so“, sagt Froitzheim.
Fragetechnik verändern
Um Konflikte zu vermeiden, hilft laut der AOK-Fachfrau auch eine veränderte Fragetechnik. „Wenn ein Erkrankter morgens gerne ein Brötchen mit Quark und Marmelade isst, frage ich ihn, ob er genau das möchte“, erklärt Froitzheim. Statt also den Tisch reichlich zu decken und den Demenzkranken damit zu überfordern, hilft eine geschlossene Frage: „Möchtest du ein Brötchen mit Quark und Marmelade?“
Hilfreich sei in Konfliktsituationen ferner das Umlenken. Ein demenziell veränderter Mann sitzt am Tisch und möchte, dass auch für seinen Bruder gedeckt wird. Doch der ist längst verstorben. Statt auf diese Tatsache hinzuweisen, hilft es, die Situation umzulenken: „Ach, wir müssen noch den Kuchen holen, kommst du mit?“, kann als Umlenkung funktionieren. Denn nach dem Weg in die Küche und zurück ist die Sorge um den fehlenden Bruder vielleicht vergessen.
Gefühlswelt von Demenzkranken verstehen
Um die Gefühlswelt von Demenzkranken zu verstehen, sollten Angehörige nach den Ursachen fahnden. Unruhezustände können zum Beispiel durch Schmerzen ausgelöst werden. Oder Harndrang. Immer wieder lösen Schattenbilder Ängste aus. So kann eine vermeintlich harmlose Flasche einen Schatten an die Wand werfen, den Erkrankte als Monster wahrnehmen könnten.
Die 78-jährige Mutter durfte übrigens ihr Sommerkleid zum Einkaufen anziehen. Der Angehörige nahm einfach den Wintermantel mit. Und bei den Schuhen schlug er vor, doch festes Schuhwerk anzuziehen, schließlich müsse man ja ein Stück zum Supermarkt laufen. Mitspielen und umlenken war in diesem Fall der doppelte Schlüssel, um den Konflikt gar nicht erst entstehen zu lassen.