11 Tipps für die Soziale Betreuung

Raus aus der Einsamkeit:

Die Soziale Betreuung in Pflegeheimen hat oft den Ruf, Bewohner wie in einem Cluburlaub zu animieren. Sitztanz, Ballspiele oder eine Runde Mensch-ärger-dich-nicht sehen auf den ersten Blick nach Vergnügen aus. Dabei ist die Aktivierung von Senioren eine hoch komplexe Angelegenheit. Wenn es „spielend“ aussieht, machen Betreuungskräfte einen guten Job. Petra Seewald von der Wohngemeinschaft für Senioren (WGfS) in Filderstadt bei Stuttgart erklärt, worauf es beim Aktivieren ankommt und gibt Tipps für Kollegen:

1.) Langsam herantasten

Um Senioren zu aktivieren, müssen Mitarbeiter der Sozialen Betreuung den aktuellen Zustand und die Biografie des Bewohners kennen. Wer sitzt mir gegenüber, was können wir machen, wie hole ich den Mann oder die Frau ab – sind die ersten Aspekte beim Herantasten an den Menschen.

2.) Ungezwungen ausprobieren

Danach folgt das Ausprobieren. In der Einzelbetreuung, die meist an Vormittagen angeboten wird, weil da Leute da wacher und fitter sind, testen Soziale Betreuer welche Aktivierungen gehen. „Dabei ist wichtig, herauszufinden, was der Senior gerne macht“, sagt Seewald. Stimmung und Energie sollten ungezwungen sein. Nicht wie in der Schule, in der Aufgaben bearbeitet werden müssen. Das Gefühl gebraucht zu werden, Spaß und Erfolg sind dafür Indikatoren.

3.) Einladen statt auffordern

So können Betreuer Bewohner mit dem Satz einladen: „Ich versorge heute die Blumen, wollen Sie mir dabei helfen?“ Ein anderer, guter Ansatz ist, die Senioren zum Anleiten einzuladen. Etwa so: „Heute ist der Praktikant da, könnten Sie ihm zeigen, wie ein Hefezopf gebacken wird?“

4.) Vorlieben kennen

Die Chancen steigen, wenn die Betreuung auf die Biografie des Bewohners zielt. „Wenn eine ältere Frau früher gerne im Garten Rosen gepflegt hat, wird sie vermutlich eher helfen, die Blumen im Wohnbereich zu versorgen“, verdeutlicht Seewald, die in Filderstadt auch Männerstammtische anbietet, an denen es „zünftig zugeht“. So wie früher sonntags nach dem Gottesdienst im Wirtshaus. „Dazu laden wir die Söhne der Bewohner ein“, so die Fachkraft.

5.) Gedächtnis trainieren

Egal, ob Blumenpflege, Kuchen backen oder Stammtisch – alle Aktivierungsaktionen dienen bei der Betreuung dazu, das Gedächtnis der Bewohner zu trainieren. Das geht unter anderem über Erinnerungsarbeit. So erzählen die Männer, wenn sie am Tresen stehen von früher. Etwa von lustigen Binokel- oder Schafkopfrunden oder von der wütenden Ehefrau, die sonntags mit dem Braten zuhause saß und auf ihren Mann wartete. Während der im Wirtshaus lieber Bier trank.

Petra Seewald von der Wohngemeinschaft für Senioren (WGfS) in Filderstadt

6.) Basale Stimulation

Wenn Seniorinnen berichten, wie sie als junge Mädchen auf dem Bauernhof in der Küche halfen, können Soziale Betreuer gezielt fragen, ob sie sich an den Duft von frisch gebackenem Brot erinnern. Oder welche Kräuter und Salze sie in den Teig gegeben haben. Geschieht dies, während im Seniorenheim ebenfalls gebacken wird, werden mehr Sinne angesprochen. „Die Erinnerungsarbeit wird über die basale Stimulation unterstützt“, verdeutlicht Seewald.

7.) Abläufe moderieren

Die Soziale Betreuerin der WGfS weist zudem darauf hin, dass in der Kommunikation nie gedrängt oder gemaßregelt werden dürfe. Manche Bewohner können keine Zahlen mehr. Wer mit ihnen würfelt, etwa beim Mensch-ärgere-dich-nicht-spielen, sollte die Würfe moderieren: „Aha, jetzt haben Sie eine Vier gewürfelt, Frau Maier.“

8.) 1×1 Wettbewerb

„Bei geistig fitten Senioren ist das 1×1-Spielen eine fantastische Übung“, findet Seewald. Denn Ältere mussten in der Grundschule Rechenübungen auswendig lernen und wurden vom Lehrer abgefragt. Diesen „Sport“ mit Enkeln, Schülern, Praktikanten im Wettbewerb zu trainieren, komme gut an. Wie aus der Pistole geschossen können viele Senioren die Ergebnisse auswendig sagen. „Da haben Jugendliche das Nachsehen“, lacht Seewald. Und der Applaus sowie das Lob berühre die Bewohner.

9.) Ausflüge organisieren

Seewald empfiehlt, vor dem Hintergrund der Interaktion, möglichst viele Ausflüge mit Senioren zu starten. Ins Eisenbahnmuseum, aufs Volksfest, zur Ritterburg, in die Gärtnerei und zu Gottesdiensten würde die Wohngemeinschaft Bewohner chauffieren. Dabei komme es darauf an, einzelne Aktionen zu inszenieren. „Besuchen wir etwa mit 20 Bewohnern eine Eisdiele, dann gehen wir mit jedem einzeln zur Eis-Theke“, berichtet Seewald. Neben Auswahl und Bestellung sei es wichtig, dass die Senioren ihr Eis aktiv selbst bezahlen. Das erfreue die alten Menschen und sei besser, als passiv am Tisch zu hocken und darauf zu warten, bis Kellner die Eis-Becher abstellen.

10.) Glücksmomente schaffen

Schlussendlich geht es darum, Glücksmomente zu schaffen, so Seewald. Auch wenn der Gelateria-Besuch binnen Minuten wieder vergessen sei, hat die Fachkraft beobachtet, dass der Augenblick des Bezahlens verstärkt Kindheitserinnerung wachrufe. „Die Leute wissen noch, wie sie als kleine Steppkes ihr erstes Eis gekauft haben. Diese Momente holen wir zurück.“

11.) Defizite abfedern

Aktivierung sei dann wertvoll, wenn Defizite der Bewohner liebevoll aufgefangen würden. Das könne ein Tangolehrer sein, der mit einer Seniorin und ihrem Rollator tanzt. Oder ein Therapiehund, der am Bett eines Pflegebedürftigen auf Streicheleinheiten wartet. Auch meditative Cranio-Sakral-Behandlungen, Druckmassagen oder ein spezielles Krafttraining würden den Bewohnern helfen, das eigene Körpergefühl wieder und besser wahrzunehmen.

Leave a Reply

2 comments

  1. Sabine

    Ich arbeite bereits mit viel Freude in der sozialen Betreuung. Wenn ich denn darf und mir weder Coronabeschränkungen noch Kollegen aus der Pflege auf Grund der dünnen Personaldecke die Zeit für die Senioren streichen. Von den 6 Dienstatunden plus 30 Min Pause am Tag stehe ich i.d.R. 4-5 Std. in der Küche und mache Service. Selten komme ich zur Pause…. Es ist selbstverständlich täglich eingeplant, dass ich im Früh- und Spätdienst „Essensbegleitung“ mache. Gemeint ist weniger Menschen mit Demenz oder anderen neurologischen Erkrankungen beim Brote schmieren zu unterstützen oder sonstige Begleitung zu machen sondern eben Service und Geschirr verräumen. Zum Mittagessen und Kaffee täglich das selbe. Alle Aus- und Fortbildungen sind sinnlos, da ich über Bewohner dokumentieren soll, die ich z.T. wochenlang nicht gesehen habe. Proteste wurden abgeschmiert. Das Standing einer soz. Betreuung ist in den Augen von Pflegefachkräften und -helfern auf Sonderschulnieveau. Ich werde angefaucht, wenn ich mich mehr um die Senioren als die Tische kümmere. Bei denen bin sehr beliebt. Ein Grund zum Mobbing….
    Ist das normal?!?
    Alles was ich über diesen Beruf lese klingt toll. Inklusive der Anspruch an die soz. Betreuung. Aber davon etwas umzusetzten geht leider nichts….

    -1